Mitsommernacht

In dieser Nacht schlafen die Waldgeister nicht. In dieser Nacht sind alle Erdgeister, Wichtel, Elfen und Kobolde in Bewegung. Dort unter den Sträuchern rauscht und flüstert es, schleicht und schwirrt es, spielt man Verstecken, spielt man Fangen und eigene geheimnisvolle Spiele im schummerigen Licht des Waldes und der Wiese.

Sie liebkosen sich gegenseitig, verteilen kleine Küsschen, murmeln nette Wörter und summen einander leise Nachtgesänge vor. Sie tänzeln mit erhobenen Händen bezaubernd nach einer geheimen Weise, manchmal lachen sie heiter, fassen sich an den Händen und tanzen in einer langen Kette oder im Kreis.
Die kleinen Nachttiere sehen und hören zu. Ab und zu beteiligen sie sich am Spiel und tanzen mit, stumme Schmetterlinge, leise Vögelchen, kleine Mäuse und großäugige Gleithörnchen. Elche ruhen sich aus, Bären haben sich hingelegt, Luchse sitzen auf dem Felsen, Füchse äugen hinter den Baumstümpfen. Moosglöckchen bringen die zarten Blüten zum schwingen, Glöckchen klingen sanft. Ihr Duft steigt über das Moos bis hoch zu den Ästen der Bäume und das Echo der Klänge kommt aus der Ferne. Es ist die Spielnacht der Feen mit den Moosglöckchen.
Ewig schlafende uralte Felsblöcke öffnen kurzzeitig ihre Augen, schütteln einige Flechten, Nadeln und Zapfen aus den Augenwinkeln ab, um besser die seltsame Feier der Mitternacht, das Licht und die Sonne zu beobachten. Dann stöhnen sie, lächeln, schließen wieder die Augen, drehen sich vorsichtig auf die Seite um besser die sommerliche Wärme zu sammeln und schlafen bis zur nächsten Mitsommernacht. Manchmal kannst du beim Spazieren im Wald das sanfte Schnarchen der Riesen hören.
Die Nixen der Stromschnellen schwimmen und schwimmen gegen den Strom mit weißen Schaumkronen in den Haaren, Tag und Nacht ohne zu ermüden. Die Burschen der Stromschnellen tief in den grossen Steinen unter den riesigen Brechern sprechen mit dumpfen Stimmen. Diese Nacht erheben sie sich kurzzeitig aus dem Schaum zwischen den gelben Lilien an den Strand. Die Mädchen kämmen ihre Haare mit den Fingern, trocknen die schäumenden Locken, und lassen sie von der Sonne erwärmen. Die Burschen spielen miteinander, richten sich zur Sonne und kommen dann zu den Mädchen. Sie tanzen eng umschlungen den kraftvollen, schäumenden und wilden Flußtanz, am Strand und auf den Wogen - und ergeben sich wieder dem strömenden Wasser der im strahlenden Sonnenglanz schimmernden Stromschnelle.

Die Fische im See schwimmen in großen Schwärmen nach der Musik der Wellen. Die Knospen der Teichrosen und Seerosen öffnen sich kurz auf der glatten Wasseroberfläche um diese Nacht die Farben und das Licht des Himmels zu sehen. Die Luftfee kommt hervor aus dem rosaroten Wolkenschloss, schwingt den durchschimmernden Schleier über das ganze Himmelsgewölbe. Der Schleier erleuchtet in allen Regenbogenfarben, glüht kurz auf und verglimmt langsam zu einem gedämpften blau. Das Wolkenschloß entschwindet, die Sonne steigt strahlend empor und das Morgenlicht erfüllt die Erde.
1994